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Die Geschichte vom dicken, immer essenden Menschen

Die Geschichte vom dicken, immer essenden Menschen ist eine Geschichte voller Missverständnissen. Ich will nicht lügen, diesen Text zu schreiben fällt mir schwerer als alles was ich bis dato hier auf Curvect veröffentlicht habe. Dabei sind das weit über 300 Artikel. Doch Essen ist – auch für mich – ein schwieriges Thema. Nicht, weil ich es hasse, weil ich in meinem Leben einmal akut an einer Essstörung gelitten habe, oder es für mich für Negatives steht. Essen war und ist für mich Genuss.

Doch als dicke Frau ist mir natürlich bewusst, dass mein Essverhalten Bewertungen unterzogen ist. Nicht zuletzt die Recherche für diesen Artikel hat mich zutiefst traurig gemacht. Ach ja..nein..wenn ich traurig bin esse ich übrigens nicht, denn im Gegensatz zu allen gängigen Vorurteilen essen dicke Menschen nicht permanent. Vor wenigen Tagen war der #internationalnodietday2019, diesen nehme ich zum Anlass das Thema „Essen als dicker Mensch“ auf Curvect einmal genauer zu beleuchten

Ein Leben mit Essstörungen

Fettige Pizza, Menschen die sich mit beiden Händen Essen in den Mund stopfen, aufgerissene Chipspackungen und literweise Cola neben sich stehend. Unmengen an Nahrung in sich hinein schaufelnd. Ohne je satt zu sein, so scheint es. So oder ähnlich werden dicke Menschen, adipöse Menschen, gerne medial dargestellt.

Bilder, die sich in die Köpfe der Öffentlichkeit eingebrannt haben. Ekelerregend, grauslich, unappetitlich, so essen dicke Menschen. Essgestört und unkontrolliert – wie sonst kann jemand dick werden oder bleiben? Wenn sich ein Vorurteil immer wiederholt dann ist es eben dieses.

Dabei möchte ich nicht sagen, dass es keine Essstörungen gibt. Leider ist das Gegenteil der Fall. Viele Menschen (ob dick oder dünn) kämpfen mit einem Essverhalten, das sie krank macht. Doch dies auf jeden dicken Menschen zu übertragen ist absolut falsch und erzeugt großen Leidensdruck.

EssendenMenschen_GerstnerKonditorei

Die Geschichte vom dicken, immer essenden Menschen

Denn obwohl sich das Vorurteil des gestörten Essverhaltens hartnäckig hält, gibt es mittlerweile immer mehr Studien und Forschungsergebnisse, die ein anderes Licht auf das Essverhalten dicker Menschen werfen.

So erwähnt etwa Gisela Enders in ihrem Ratgeber „Wohl in meiner Haut“* eine Studie der  Laval-Universität in Quebec (Kanada). Dabei wurde das Gewicht, sowie der Körperfettanteil über einen längeren Zeitraum bei 80 Frauen kontrolliert. Von diesen hatten sich 40 Frauen als „Vielesserinnen“ und 40 Frauen als „Wenigesserinnen“ eingestuft. Alle Frauen waren gesund, rauchten nicht, hatten seit langem ein stabiles Gewicht, ohne „Diät“ zu halten, und waren nicht außergewöhnlich aktiv. Das interessante Ergebnis:

Obwohl die „Vielesserinnen“ täglich 900 Kalorien mehr zu sich nahmen und sich nicht mehr bewegten, waren sie mit 50,6 Kilo im Schnitt 4,5 Kilo leichter als ihre „wenig essenden“ Kolleginnen. Ihr Körperfettanteil betrug 28 Prozent im Vergleich zu den „Wenigesserinnen“ mit 33 Prozent. Die „Dünneren“ trugen nur 14,5 Kilo Fettmasse mit sich herum, während sich bei den etwas stärker gebauten immerhin 4,2 Kilo mehr Fettzellen auf den Körper verteilten.

„Dicke sind beileibe nicht immer selber schuld, leiden nicht unter mangelnder Selbstdisziplin, sind nicht alle nur willensschwache Freßsäcke, bewegungsarme Faulpelze, die es nicht besser verdienen, als diskreditiert und verspottet zu werden. Während sie stetig dicker werden, nehmen manche keine Kilokalorie mehr zu sich als die Schlank-Bleibenden. Manche essen gleich viel, manche sogar nachweislich weniger als die Schlanken.“*

Diese Studie ist nur ein Beispiel für Forschung, die sich differenzierter mit dem Thema Adipositas / Gewicht / Essverhalten auseinandersetzt.

Die Wissenschaft

Allerdings finden Studien und Forschungsergebnisse, die einen differenzierteren Blick auf dicke Menschen und deren Essverhalten werfen öffentlich weniger Gehör. Denn Untersuchungen die von Dingen wie „fehlender Essbremse bei dicken Menschen“ ** sprechen passen besser zum Umgang mit dem Thema.

„Bei Dicken ist die Hirnregion, die für die hormonelle Steuerung von Hunger- und Sättigungsempfindungen verantwortlich ist, stark vergrößert. Die Regionen, die an der Verhaltenskontrolle beteiligt sind, sind vor allem bei übergewichtigte Frauen verkleinert. Dadurch wird ihr Verhalten beeinflusst – sie neigen zu impulsiven und spontanen Entscheidungen.“***

Zu diesen Ergebnissen kam vor einiger Zeit etwa eine Studie des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) Adipositas-Erkrankungen. Dabei wurde an Hand eines Glücksspiels das strategische Verhalten der ProbandInnen getestet. Die übergewichtigen ProbandInnen waren dabei wesentlich impulsiver in ihrem Spielverhalten. Währen die schlankeren Mitspielenden strategischer vorgingen.

EssendenMenschen_AnnaundBobby

Wer mehr isst, ist früher tot

Das Essverhalten von dicken Menschen führt also unversehens zu Krankheit, zu mehr Gewicht, zum früheren Tod. Ich will nicht lügen, all das zu lesen macht auch mir Angst. Jeder Bissen den ich zu mir nehme ist also ein Schritt mehr Richtung Grab?

Hier ziehen gerade unzählige Mahlzeiten an meinem inneren Auge vorbei. Jedes Stückchen Torte, jeder Schokoladenosterhase, jedes Steak, jeder Salat, jeder Apfel. Halt, moment Mal, Salat, Apfel? Wie? Zur Überraschung vieler Menschen die mich nicht kennen esse ich Salat und Gemüse unheimlich gerne. Gehörte ein frischer Salt, ob nun Tomaten, Karotten oder diverse Blattsalate usw. seit meiner frühesten Kindheit zu vielen Mahlzeiten dazu.

Das beruhigt mich jetzt doch etwas, das ist doch was Gutes oder? Doch das ist im Endeffekt wahrscheinlich auch schon fast egal. Denn jeder Bissen, den ich mit viel Genuss zu mir nehmen. Sei es nun Fisch, Fleisch, Gemüse oder auch Schokolade ist ein Schritt weiter ins Verderben. Denn ganz offensichtlich esse ich viel zu viel von Allem. Schließlich bin ich dick.

EssendenMenschen_Genuss

Öffentliches Essen als dicke Frau

Doch alle Ironie bei Seite. Tatsächlich gibt es Momente in denen ich mir manchmal Essen verbiete bzw. weiter essen vermeide. Entweder weil ich nicht von meinem gegenüber kritisch betrachtet werden will, ob meiner Kapazität einen Teller leer zu essen, oder aber weil mir bewusst ist, dass eine dicke Frau, die sich nach der Hauptspeise noch ein Dessert gönnt ein klassisches Klischee erfüllt.

Dabei kann ich auch in Restaurants nicht immer widerstehen, die letzten Saftreste mit einem Stückchen Brot oder gar mit dem Finger aufzuschlecken (ich kleines Ferkel ich). Übermäßig und unkontrolliert wie ich nun mal bin muss ich dann vor Verzücken die Augen schließen und freue mich einfach über eine so unheimlich gute Mahlzeit.

An dieser Stelle übertreibe ich nicht, ein leckeres Dessert oder eine gut gekochte Speise kann mich echt in Verzückung versetzen. Fragt meine armen leidgeprüften FreundInnen. So mancher Laut der Verzückung entrang sich meinem Mund schon, während ich den letzten, den perfekten Bissen, meines Essens genossen habe.

Da bin ich ganz selbstsüchtig und versetze alle Mediziner dieser Welt mit Bedenken ob meines Gewichts, alle Kritiker meines Körpervolumens, alle Mitmenschen die eine dicke Frau so gar nicht essen sehen wollen, gerne in Erstaunen.

EssendenMenschen_Gerstner

Weil ich genießen darf

Denn ich Esse gerne, ich genieße gerne und das lass ich mir auch nicht verbieten. Ich esse wenn ich hungrig bin. Manchmal auch wenn ich einen „Gusta“ und keinen richtigen Hunger habe. Nie gerne wenn es mir richtig schlecht geht oder ich Schnupfen habe (da schmecke ich nix und könnte ja gleich Pappe essen).

Essen war für mich nie todbringendes Gift sondern glücksbringender Augenblick. Es erinnert ich an meine Kindheit, an Weihnachtsessen bei meiner geliebten Oma, an Familienfeiern, an das erste Date mit meinem Mann, an Urlaube. Viele liebe Erinnerungen sind mit Gerüchen und Geschmäckern verbunden.

Auch heute noch genieße ich Essen in Gesellschaft mehr als allein und zelebriere es gerne. In meiner Gegenwart muss sich niemand ein Dessert verkneifen oder den Genuss des letzten Bissen.

Gerade bin ich versucht zu schreiben, dass das nicht bedeutet, dass ich die ganze Zeit esse. Im Gegenteil, ich verbringe wesentlich mehr Zeit damit Artikel für Curvect zu schreiben, zu lesen, zu verreisen, mit lieben Menschen zu sprechen, zu arbeiten.

Ich bin versucht zu schreiben, dass Essen  zwar ein für mich sehr wichtiger Teil meines Wohlbefindens, aber nicht der wichtigste ist. Ich bin versucht zu erklären, dass ich so viel mehr bin als mein dicker Körper. Doch das muss ich eigentlich gar nicht erklären oder…huch..jetzt hab ich es doch getan…

Zum Nachdenken

Der Endokrinologe Achim Peters bringt immer wieder interessante Argumente ins Spiel, wenn es um das Verständnis dicker Körper, von Übergewicht geht.

„Bisher wurde immer nur der Zusammenhang zwischen Übergewicht und Sterblichkeit untersucht. Zwischen den beiden Parametern gibt es aber nur einen scheinbaren Zusammenhang. Die Ursache für die Sterblichkeit liegt aber nicht im Übergewicht, sondern in einem Parameter, der bisher gar nicht berücksichtigt wurde: im Stress.“****

Doch darüber ein andere mal mehr….

 

Bilder:

Fotografin: Olga Kretsch Photography

Models: Anna und Bobby

Outfits: Miriam Jezek – Grand Styles

Schmuck Bobby: Konplott

Location: K&K Konditorei Gerstner

 

*https://www.wohlinmeinerhaut.de/ratgeber-wohl-in-meiner-haut/warum-sind-manche-menschen-dick/essen-dicke-menschen-mehr/

**https://eatsmarter.de/gesund-leben/gesundheit/dicke-nehmen-essen-wahr

***https://www.fitforfun.de/abnehmen/gesund-essen/dicke-uebergewichtige-denken-weniger-an-morgen_aid_13182.html

****https://www.welt.de/vermischtes/article113941408/Die-Dicken-sind-viel-gesuender-als-die-Duennen.html

Ich liebe Mode – schon immer, bin kurvig seit ich mich erinnern kann und kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich mag. Die Plus Size Welt ist bunt und vielfältig. Das möchte ich zeigen und habe deshalb nach Jahren in der PR-Branche beschlossen, jetzt nur noch PR für Curvect zu machen.

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