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Tess Holliday – als Vorbild nicht gut genug?

Tess Holliday  – als Vorbild nicht gut genug? – Ich lese schon seit Jahren so gut wie keine Modezeitschriften mehr.  Zu sehr vergällen mir das gesammelte Fatshaming, die mangelnde Vielfalt und das ewige Diät-Blabla die Lektüre, und daran ändern die zögerlich-sporadischen Ausflüge der Redaktionen in die Gefielde von Bodypositivity nichts. (Eine der wenigen Ausnahmen, die ich mir doch gekauft habe: die letzte Septemberausgabe der britischen Cosmo, weil Tess Holliday vom Cover strahlte).

The Curvy Magazine

Umso mehr habe ich mich gefreut, als letzten Frühling das erste Curvy-Magazine erschien. Endlich mal eine Zeitschrift für kurvige Frauen, mit Mode, die ich nachshoppen könnte, und ohne das ewige Niedermachen aller, die üppiger sind als Größe 36/38.  Die ersten zwei Ausgaben habe ich ausgesprochen gerne gelesen.

Meine Vorfreude auf die neueste Nummer wurde mir aber genommen, und zwar durch eine Kolumne von Susanne Ackstaller alias Texterella, in dem die oben erwähnte UK-Cosmo zum Anlass nimmt, sich Gedanken über die Wirkung von Covergirl Tess Holliday zu machen.  Überschrift: „Ist fett wirklich das neue fabelhaft?“ Ihre Botschaft, im Curvy Magazine abgedruckt: Tess sei superschön und wichtig und Cosmogirl und inspirierend und überhaupt, trotzdem brauche man aber dringend andere Plus-Size-Idole.

In diesen vier Absätzen verstecken sich derart viele problematische Aussagen, dass ich kaum weiß, worüber ich zuerst den Kopf schütteln soll.

Das Problem Fettleibigkeit

Die Aussage „Fettleibigkeit ist ungesund. Punkt.“ ist schlicht und ergreifend falsch. Ja, dicke Menschen haben ein höheres Risiko für gewisse Erkrankungen. Aber: nicht jeder dicke Mensch ist bzw. wird automatisch krank. Abgesehen davon ist auch noch nicht gut genug erforscht, ob das Gewicht tatsächlich der Auslöser ist, oder ein Symptom einer tiefer liegenden Ursache, z. B. Hormonstörungen, der Stress-Cortisol-Verbindung, Traumata usw., und inwiefern andere Faktoren wie Essstörungen oder Jojo-Diäten eine Rolle spielen.

Ich verstehe nicht, wieso das Curvy Magazine diese Aussage einfach so stehen lässt. Vor allem, wenn es so viele leicht zugängliche Informationen von ExpertInnen wie Dr. Linda Bacon oder Prof. Achim Peters gibt.

Tess Holliday am Cover der Cosmopolitan

Problem Nummer zwei: Frau Texterella unterstellt Tess Holliday und anderen dicken Ikonen, starkes Übergewicht als „modisches Accessoire“ zu behandeln, als „Style, der (sie) zu etwas Besonderem macht, und vielleicht sogar berühmt.“

Nur: Von Verherrlichung von Tess´ 300 Pfund ist im Cosmoartikel keine Spur, und auch in keinem anderen Interview, das ich finde. Es geht um ihre Kämpfe, Mobbing, Diskriminierung, um ein Leben als sie selbst, in einer Welt, die ihr sehr viel Hass entgegenbringt. Der Artikel in der Cosmo im Besonderen ist ein starker, mutiger Text, und so ziemlich das Gegenteil von “fett ist das neue schwarz” oder “fett ist geil, alle sollten zunehmen”.

„Tess mag eine Ikone sein, aber ein Vorbild ist sie für mich nicht“, schreibt die Kolumnistin. Hier kann man sich fragen, warum man Menschen, die hauptberuflich Kleider vorführen (wogegen ja an sich absolut nichts zu sagen ist) unbedingt zu Vorbildern und Ikonen erklären muss. Und wenn ja, warum man bei dicken Models höhere Maßstäbe anlegt als bei dünnen.

Schlanke Celebrities wird allerlei „Ungesundes“ verziehen, sonst würde man diejenigen mit Drogen- und Alkoholproblemen nicht wieder und wieder auf die Cover hieven und ihnen einen Werbedeal nach dem anderen antragen.

Vorbilder der Plussize Community

Was für eine Art von Vorbild wünscht sich die Kolumnistin also? „Plussize-Idole: Solche, die uns vorleben, dass Selbstliebe und Body Positivity auch bedeuten, unsere Körper zu pflegen und auf sie aufzupassen. (…) Solche Vorbilder zeigen uns, dass wir uns lieben dürfen wie wir sind – aber nicht auf Kosten unserer Gesundheit“.

Nicht nur, dass Frau Ackstaller Tess Holiday unterstellt, sich nicht um ihren Körper zu kümmern, weil sie eben sehr dick ist, und offenbar all die Instagramposts ignoriert, wo Tess sich beim Workout oder bei diversen Selfcare-Ritualen zeigt. Texterellas Definition von Gesundheit ist erschreckend schmal, und scheint sich nur auf Ernährung und Bewegung zu reduzieren.

Hier liegt das Hauptproblem des Texts. Gesundheit ist nämlich viel mehr als nur Salat knabbern und durch die Gegend zu joggen. Neuesten Erkenntnissen geht es bei diesem komplexen Thema auch um so wichtige Faktoren wie Armut, Umfeld, soziale Kontakte bzw. Einsamkeit, und auch – ganz wichtig – seelische Gesundheit. Genau hier ist Tess aber durchaus ein Vorbild.

Tess Holliday als Vorbild

Nicht nur, dass sie sich trotz einer Kindheit in bitterster Armut und voller familiärer Gewalt aus eigener Kraft nach oben gearbeitet hat, sich eine Karriere erschuftet hat, die es für eine Frau ihrer Größe vorher nicht gab. Die auch als gemobbte Teenager-Mama trotz gigantischer Widrigkeiten nie aufgehört hat, an ihre Träume zu glauben. Die eine große, bodypositive Online-Community aufgebaut hat.

Sie spricht auch ganz offen über ihre Schwierigkeiten, sich im fettfeindlichen Umfeld ihre geistige Gesundheit zu bewahren, tritt gegen Mobbing auf, und thematisiert ihre eigenen Kämpfe. Diese Frau soll also nicht Vorbild genug sein?

Nein, findet Texterella, schließlich trage Tess Holliday zur „Verherrlichung der Fettleibigkeit bei“. Worte, die ich nie und nimmer in einem Curvy Modemagazin zu finden erwartet hätte.

(Warum die Curvy-Kolumnistin mit dieser Aussage ganz, ganz falsch liegt, kann man in Teil 2, am kommenden Donnerstag, nachlesen).

The Curvy Magazine: https://www.thecurvymagazine.com/de/

Autorin:

Rhea Krcmarova persönlich © Margit
Marnul

Rhea Krčmářová (Krtsch-mar-scho-wa) wurde in Prag geboren und emigrierte mit ihrer Familie aus der ČSSR nach Österreich. Nach fünf Jahren als Staatenlose erhielt sie die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie studierte u.a. Theaterwissenschaften, Gesang, Schauspiel und ist Absolventin des Instituts für Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Ihre Texte wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a.: Literaturpreis Wartholz (Land NÖ). Sie veröffentlichte in diversen Anthologien, schreibt Theatertexte, Libretti, Essays und Lyrik und experimentiert mit transmedialer Kunst und Buchkunst. Ihr erster Roman “Venus in echt”  erschien 2013 im Verlag edition a, Wien. Im Fokus steht dabei die dicke Protagonistin Romy Morgenstern.

 

Ich liebe Mode – schon immer, bin kurvig seit ich mich erinnern kann und kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich mag. Die Plus Size Welt ist bunt und vielfältig. Das möchte ich zeigen und habe deshalb nach Jahren in der PR-Branche beschlossen, jetzt nur noch PR für Curvect zu machen.

Kommentare

  • Ma. Sa.
    19. Januar 2019

    Danke für Deinen öffentlichen Beitrag und Deine passenden Worte! Ich hatte diese unsäglich Kolummne schon fast wieder vergessen, oder besser gesagt verdrängt, denn meine latent wütende Antwort an die Redaktion damals war:

    „Sehr geehrtes Team des Curvy Magazines,

    hiermit kündige ich mein Abo Ihres Magazins zum Ende des bereits bezahlten Zeitraums –
    und ich habe gedacht, ich unterstütze mal ein gutes Projekt?!

    Sie haben es genau bis zur 22. Seite der dritten Printausgabe geschafft, mich als Leserin zu behalten.
    Denn ab jetzt kann ich genauso auch wieder all‘ die anderen oberflächlichen und langweiligen Frauenmagazine dieser Welt zu lesen, denn eine so anmaßende Bewertung Ihrer gewünschten Leserinnen ist eine Frechheit, und dabei aber noch nicht mal progressiv, mutig oder gar „wahr“ sondern lediglich eine etwas eloquentere Version der gängigen Beleidigungen in Social Media-Kanälen. Das Rumgeheule Ihrer Kolumnistin, dass sie sich doch bitte gesunde, nur ein bisschen dicke Vorbilder möchte ( vielleicht Sie selbst?! ) ist peinlich, kleinlich, alles andere als souverän und einer stolzen dicken Frauen nicht würdig. Aber es gehört eben mehr dazu eben diese zu sein, als ein paar hübsche Modefotos in (natürlich) kaschierenden und vorteilhaften Klamotten, die einen so dünn (ist natürlich dennoch besser) wie möglich aussehen zu lassen.

    Bitte bestätigen Sie mir meine Kündigung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ma. Sa.“

    Und nach einer Lari-Fari-Bestätigung durch die CHefredakteurin, dann nochmal das.

    „Danke für Ihre prompte Bestätigung.

    Ich habe in dem Zuge mal Ihren Namen gegoogelt und folgende Aussage in einem Interview gefunden:

    “ Es unterscheidet sich gar nicht so groß von anderen Magazinen und das war auch mein Ziel. Die Menschen, die darin abgebildet sind, haben einfach ein paar Kilos mehr auf den Hüften, als man es von Frauenmedien gewohnt ist. Am liebsten würde ich Diättipps vermeiden. Wenn wir das Thema jemals aufnehmen, dann geht es mir eher um psychologische Aspekte und um Menschen, die ihre Erfahrungen austauschen. Ich unterstütze es total, wenn Leute abnehmen, um sich wohlzufühlen oder wegen gesundheitlicher Aspekte. Aber nicht wegen des gesellschaftlichen Drucks. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich eine Frau mit Kleidergröße 50/52 wohler fühlt, wenn sie wunderschöne Frauen mit Größe 44/46 sieht – was eine normale Größe ist! Sie kann sich dann eher vorstellen, dieses Ziel zu erreichen. “

    Hätte ich das eher gelesen/ wahr genommen, dann hätte ich wohl von vornherein kein Abo abgeschlossen, da ich persönlich sehr gerne ein Magazin
    hätte, welches sich gänzlich von den anderen oberflächlichem Frauen-Blabla unterscheidet und hatte es tatsächlich gehofft, es vielleicht ein bisschen
    bei Ihnen zu finden. Aber Sie sind einfach alles andere als feministisch, was eine völlig legitime Entscheidung ist, aber eben nicht meinem Interessen
    folgt. Und der Ansatz, den „noch dickeren“ (ja, als was denn? Ist 44/46 die magische Grenze des Curvy-Magazines?) schöne Ziele zu bieten, um sich dann eben denen anpassen zu können, ist doch wirklich alles andere als eine wertschätzende, liebevolle Sicht auf die Frauen dieser Welt. Und übrigens exakt das gleiche, was eben alle anderen auch machen… nur eben nicht ganz so „doll“, dadurch aber nicht weniger destruktiv. Und die Gesundheitskeule ist eben genau das… eine weit verbreitete moralinsaure Keule, die jeglichen konstruktiven Austausch und produktive Prozesse im Keim erstickt… und zudem ist sie einfach nicht wahr.

    Ich liebe Mode – aber noch mehr liebe ich mich selbst und meine Mit-Frauen 😉 in allen Größen und Formen – ohne erhobenen Mittelfinger – übrigens auch nicht bei Modethemen, z.B. Fat-shion… eine wundervolle Möglichkeit, seine Persönlichkeit auszudrücken. Und außerdem ebenso ein gesellschaftliches Konstrukt, wie alle anderen Bewertungen von Äußerlichkeiten auch… was bei uns noch mutige Fat-shion ist, interessiert in England und den USA schon keinen mehr 😉 warum wohl? „

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