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Wie ein Tier im Zoo

Wie ein Tier im Zoo fühle ich mich manchmal. Dies liegt dann nicht nur an meinen Löwenohren. Sondern viel mehr am Verhalten der Menschen um mich herum. Denn an manchen Tagen kann es schon schwierig werden das Haus zu verlassen, ohne sich beobachtet zu fühlen. Einerseits kann das am Modemut liegen. Denn zugegeben, ich mag es manchmal auch ausgefallen oder sagen wir Zurückhaltung ist nicht unbedingt mein Thema. Andererseits ist allein die Tatsache, dass ich dick bin öfter mal Anlass für Getuschel oder ganz offene Angriffe. Doch woher kommt dieser Hass eigentlich? Ein Erlebnisbericht.

Der Griff zum Hosenanzug

Ein Morgen wie jeder andere. Dabei auf dem Terminplan für den Tag: Meetings, Mittagessen mit einer lieben Freundin und ein PR-Event am Abend. Soweit so gut. Deshalb will auch gut überlegt sein, was ich anziehen soll. Bequem genug für den Tag sollte es sein, auch stylisch und chic genug für den Abend. Weshalb ich mich nach gefühlten 3 Stunden des Anprobieren für meinen neuen Hosenanzug entscheide.

Die Farbe mag etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch ich mag das Muster. Viele kleine Schleifen auf Hose und Blazer. Perfekt. Dazu ein T-Shirt und ich bin perfekt für den Tag gerüstet. Bevor ich die Wohnung verlasse, drehe ich mich vor dem Spiegel hin und her und bin mehr als nur zufrieden. Ich fühle mich gut und bin bereit den Tag in Angriff zu nehmen.

WieeinTierimZoo_Hosenanzug

Bauch zeigen

Deshalb verlasse ich kurz darauf die Wohnung. Auf dem Weg zum ersten Termin fahre ich mit der Straßenbahn, gehe zu Fuß, steige in die UBahn ein und laufe wieder. Ganz normal also. Doch irgend etwas ist heute anders. Irgendwie fühle ich mich plötzlich nicht mehr wohl. Warum eigentlich? Alles sitzt perfekt, nichts ist zu eng, alles bequem. Körperlich geht es mir ebenso gut. Was zur Hölle ist also los. Wieso fühle ich mich so unwohl, warum schwitze ich auf einmal und bin nervös? Wieso fühle ich mich buchstäblich wie ein Tier im Zoo? Ganz plötzlich und unerwartet…

Rätselratend schaue ich mich um und begegne dem Blick einer Frau. Sie verzieht den Mund, mustert mich von oben bis unten. Ihr Blick bleibt kurz an der Mitte meines Körpers hängen, dann, durch mich beim Anstarren ertappt, schaut sie rasch zur Seite. „Komisch,“ denke ich mir und steige aus der UBahn aus. Auf dem Weg zur Rolltreppe passiert es wieder, Blicke, Musterung, ein Lächeln, sehr viele fragenden Augen. Eine Frau zeigt auf mich während sie mit ihrer Begleitung spricht, lacht, sieht mich an und lacht wieder.

Während ich kurze Zeit später auf die Straßenbahn warte, geht ein Mann vor mir vorbei, mustert mich im vorbeigehen, schaut auf meinen Bauch. Schüttelt den Kopf und geht weiter. Was bitte ist heute bloß los?

Ich bleibe vor einem Schaufenster stehen und betrachte mein Spiegelbild. Was ist denn heute nur mit mir? Ich kenne das Angestarrt werden, aber heute ist es besonders schlimm. Kurze Zeit später wurde mir bewusst, wo das „Problem“ liegt. Der Bauch ist Schuld. Besser gesagt, dass Outfit, das nicht kaschiert, das nicht vorteilhaft ist. Es mag stylisch sein und trendy, aber darum geht es gar nicht.

Von Kritik..

Denn das Problem ist ein ganz anderes. Ich zeige der Welt, was ihr so gar nicht gefällt. Meinen dicken Bauch. Nichts wird versteckt. Da mag ich mir noch so cool vorkommen, da mag der Hosenanzug noch so up to date sein. Alles egal, denn ganz offensichtlich habe ich und bin ich ein Problem. Selbst wenn ich es zu Beginn des Tages nicht so gesehen habe. Auch wenn ich es immer noch nicht so sehe. Mein Körper, mein Auftreten stellt für andere ein Problem dar.

So kämpfe ich mich durch den Tag. Versuche Blicke und Getuschel einfach zu ignorieren und überhöre auch den „na, die ist ja gut im Futter“-Ruf einer vorbeigehenden jungen Frau. Auch wenn ich mich normaler Weise währen würde, mir solche Rufe nicht gefallen lasse, heute kann ich das irgendwie nicht. Ich bin gerade zu überwältigt von der negativen Stimmung, die mir entgegen schlägt. Den Blicken voller Vorwurf und dem teilweise ganz offenen Hass.

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…zum puren Hass

Da stellt sich mir doch die Frage, wo dieser Hass her kommt. Diese extreme Antipathie. Denn auch, wenn mir etwas nicht gefällt, ist dies doch noch lange kein Grund einen anderen Menschen voller Verachtung zu mustern oder gar zu Beschimpfen. Doch das ist leider nichts Neues, denn diese offenen Anfeindungen, das sich lustig machen über den dicken Menschen, das Beschimpfen und Beleidigen sind keine Seltenheit. Ganz offen gesagt, ist der schlechte Umgang mit dicken Menschen derart gesellschaftlich akzeptiert, dass es mir beim Gedanken daran gerade die Wuttränen in die Augen treibt.

Dick sein und Öffentlichkeit

Denn wer kennt sie nicht, die dicken Schauspieler, über deren Körper man sich in Film und Fernsehen lustig macht. Werbeslogans wie „Die fetten Jahre sind vorbei“, einer Fitnesskette in Österreich, die vollkommen selbstverständlich sind oder auch permanente Kritik durch die Medien, der wenig Riegel vorgeschoben werden. Schließlich sind wir ja selber schuld, wir sind dick, wir setzen unseren Körper Gefahren aus, wir machen uns Krank, wir haben uns das ausgesucht, also müssen wir uns Beleidigungen und übermäßige Kritik auch gefallen lassen. Müssen wir diesen Hass ertragen.

„Ein dicker Körper steht gesellschaftlich für Versagen und Faulheit. Das ist Todsünde im Kapitalismus. Und das können Menschen nicht einfach so stehenlassen. Es ist leider so normalisiert, über Dicke zu lästern, dass den meisten Menschen noch nicht mal auffällt, dass sie Grenzen verletzen. Deshalb ist mir körperliche Selbstbestimmung als gesellschaftlicher Wert auch so wichtig.“*

Schließlich sind wir auch ein leichtes Ziel, weil groß und unübersehbar. Wir können uns schlecht verstecken. Wenn wir einmal draußen in der freien Wildbahn sind. Denn es gibt dicke Menschen, die sich immer mehr zurück ziehen und teilweise gar nicht mehr die Wohnung verlassen wollen, um diesem Hass nicht begegnen zu müssen.

WieeinTierimZoo_Löwenohren

Wieso?

Doch die Frage bleibt, woher kommt dieser Hass eigentlich? Einerseits trägt natürlich die Öffentlichkeit viel dazu bei, ob Artikel in Magazinen oder vorurteilsbeladene Berichte in Fernsehformaten.

„Das Entertainment wendet Korpulenz allerdings bloß auf drei Typen an: den Kasper, den Kommissar, den Onkel. „Es gab früher insgesamt weniger Dicke im Fernsehen“, sagt Medienexperte Hickethier. Vollschlanke Frauen aber („einst Trude Herr, nun Cindy aus Marzahn“), steckten seit je im Unterhaltungsfach. Und selbst da gab es lange nur Hella von Sinnen und Tine Wittler. Übergewicht, sagt Hickethier, „widerspricht dem allgemeinen Schönheitsideal“. Auf Frauen werde das besonders rigoros angewendet.“**

Ebenso sind öffentlich geführte politische Diskussionen nicht hilfreich. Denn auch die Politik trägt einiges zum schlechten Bild dicker Menschen bei. So belasten wir doch das Gesundheitssystem übermäßig und kosten damit die solidarisch ins Sozialsystem einzahlende Mehrheit finanziell.

Darüber hinaus sterben wir früher und brauchen größere Särge. Krankenbetten müssen stabiler werden, Möbel verstärkt werden. Wir machen einfach nur Mühe und Umstände.

Wer sich nicht mag, mag andere nicht…

Doch es gibt da noch eine andere Theorie oder Möglichkeit. Selbsthass führt zu weiterem Hass. Selbstkritik führt dazu, dass wir andere Menschen auch kritischer sehen. Wer schlecht von sich selbst denkt, tut dies auch bei anderen.

„….In therapy with my clients, they are often shocked to find over the course of therapy that their own judgments of others simultaneously reflect the degree to which they also judge themselves. Each day, I find myself blurting out, „You’re too hard on yourself!“ There appears to be limitless self-judgment out there in the universe, and it’s poisonous because these self-judgers are twice as good at judging – even hating – others for any number of reasons (too fat, too gay, too ethnic, and so on)….“***

Bei allen Argumenten und Studien, eines bleibt, die Kritik der wir jeden Tag ausgesetzt sind. Weil wir aussehen, wie wir aussehen. Weil wir dicke Bäuche, Oberarme oder Oberschenkel haben. Ob ich mir jetzt Löwenohren aufsetze oder ein schwarzes Kleid trage, in der Menge bin ich schon lange nicht mehr untergegangen. Nichts gegen Aufmerksamkeit, ich mag sie bisweilen auch sehr gerne.

Wie ein Tier im Zoo

Doch es gibt einen Unterschied zwischen Aufmerksamkeit aufgrund von Abscheu und Hass und Aufmerksamkeit aufgrund von Faszination oder Wohlwollen.

Löwenohren können belustigen und faszinieren, ein Hosenanzug sollte nicht zu Hass und Häme führen. Denn ich möchte mich nicht wie ein Tier im Zoo fühlen. Begafft und ausgelacht. Beschimpft und verabscheut. So sollte niemand behandelt werden. Ganz egal wie sie / er aussieht.

 

WieeinTierimZoo_Ganzkörper

 

Hosenanzug: Asos Curve

T-Shirt: Grandios Vienna (limited Edition)

Schuhe: Replay

Löwenohren: Edita Rosenrot

 

*https://www.siegessaeule.de/no_cache/newscomments/article/3698-es-ist-leider-normalisiert-ueber-dicke-zu-laestern.html?PHPSESSID=6e8d9b7ea232c611ab9a783f3dea7a11

**https://www.sueddeutsche.de/medien/dicke-im-fernsehen-einmal-ulknudel-immer-ulknudel-1.1136521-2

***https://www.psychologytoday.com/intl/blog/insight-is-2020/201105/the-psychology-why-people-dislike-or-hate-fat-people

Ich liebe Mode – schon immer, bin kurvig seit ich mich erinnern kann und kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich mag. Die Plus Size Welt ist bunt und vielfältig. Das möchte ich zeigen und habe deshalb nach Jahren in der PR-Branche beschlossen, jetzt nur noch PR für Curvect zu machen.

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