Ja, das ist plakativ, ich weiß. Keiner liebt das dicke Mädchen. Das ist klingt schon nach Selbstmitleid und Trauer. So als ob ich bemitleidet werden wollen würde. Verfolge ich allerdings einige Medienberichterstattungen, ist das die Quintessenz einiger Artikel. Keiner liebt das dicke Mädchen, nicht mal das Mädchen sich selbst.
Ein TV-Experiment
Vor Kurzem bin ich beim Surfen im Internet auf einen Artikel gestossen. Der Titel unglaublich plakativ „…Moderatorin legt 75 Kilo für ein Experiment zu – auch ihr Mann will sie nicht mehr“. Darin beschreibt besagt Moderatorin, wie sich ein Tag als Frau mit 130 Kilo Körpergewicht angefühlt hat.
Was soll ich sagen, es war furchtbar. Autofahren wurde fast unmöglich, die kleinsten Anstrengungen wurden ihr zur Qual. Sie weinte bei ihrem Anblick im Spiegel.
Der Fatsuit
Dazu sei gesagt, die Frau trug einen Fatsuit. Einen Körperanzug, der zusätzliches Gewicht simuliert. Dieser ist für die sonst sehr schlanke Frau sicherlich eine große Herausforderung gewesen. Hat sie doch nicht kontinuierlich an Gewicht zugelegt, sondern sich sofort verwandelt. Dass sie ihr Spiegelbild fast nicht erkannt hätte ist klar. Doch wie realistisch ist eines solche Veränderung innerhalb weniger Stunden?
Keiner liebt das dicke Mädchen
Die Reaktionen der Außenwelt ließen nicht lange auf sich warten. Die dicke Version der Moderatorin hatte kein Glück mit Tinderdates, keinen Spaß an Mode, war überaus gefrustet. Auch ihr Mann kam mit einer um 75 Kilo schwereren Frau nicht klar „so hätte er sich nicht in seine Frau verliebt“, war die Aussage.
Die Moral dieser Geschichte: die Moderatorin nimmt sich ganz fest vor, nicht mehr hinter vorgehaltener Hand über dicke Menschen zu lästern. Das tut einfach zu weh.
Weil Mitleid sowas von unnötig ist
Womit sie schon recht hat. So etwas tut weh. Es ist nie angenehm, wenn ein Mensch sich über einen anderen lustig macht. Das betrifft nicht nur das Körpergewicht. Jetzt aber mal ganz ehrlich, wie viele von euch finden sich in dieser Story wieder? Ich mich so gar nicht. Habe ich doch Spaß an Mode, an meinem Leben, bewege mich und kann, man mag es kaum glauben, auch mit dem Auto fahren.
Ich habe einen Menschen an meiner Seite der mich sehr liebt und schön findet und mal ganz ehrlich, Dates hatte ich in meinem Leben wahrlich genug. Wieso bitte ist das einzige was der Moderatorin einfällt, Mitleid mit dicken Menschen zu haben? Wieso ist es nicht Wut?
Wo bleibt die Wut
Wut darüber, wie sich die Gesellschaft dicken Menschen gegenüber verhält, darüber wie gelästert und gespottet wird. Wieso wurde sie nicht wütend auf ihren Mann? Ja es gibt viele unglückliche dicke Menschen, leider. Menschen die sich nicht geliebt fühlen, die sich am aller wenigsten selbst lieben. Weil sie verspottet werden, weil ihnen die Gesellschaft sagt, dass sie anders sind und nicht der Norm entsprechen.
Wieso ist das bitte nie Teil solcher Artikel? Warum ist es immer Mittleid, wieso ist es immer Qual?
Die entmenschlichten Dicken
Wo bitte bleibt die Lebensfreude? Lachende dicke Menschen, die Spaß am Leben haben. Frauen und Männer die sich angeregt unterhalten, die reisen, die etwas erleben, die lesen, die kochen, die Sport machen, die essen gehen, die studieren und eben auch dick sind. Ich sage nicht, dass das Leben als dicker Mensch immer einfach ist, das es nie Einschränkungen gibt. Allerdings weigere ich mich zu glauben, dass wir bemitleidenswerte Kreaturen sind. Das entmenschlicht uns und sondert uns ab.
Der dicke Mensch
Dick sein ist etwas, das man dem Körper nun mal ansieht. Es ist schwer sich so zu verstecken. Als Teenager habe ich das jahrelange vergeblich hinter weiten Pullovern und schwarzen Shirts versucht. Allerdings – und dies fehlt mir in vielen Debatten – geht es doch nicht immer um Körperlichkeit. Ja, da ist ein Röllchen mehr, dort eine Delle, aber wir sind Menschen mit Humor, mit Sorgen, mit Ängsten. Wir haben Uni- oder Lehrabschlüsse. Es gibt dicke Ärzte, Rechtsanwälte, Friseure, Apotheker, Tischler. Wir lachen, wir weinen, wir sind vielschichtig.
Wie wäre es, wenn diese Aspekte einmal in eine öffentliche Diskussion mit ein fließen würden? Kein Mitleid, keine Ungelenkigkeit, kein Selbsthass, der dicken Menschen oft unterstellt wird. Sondern Vielfalt, Menschen in allen ihren Facetten, denn das ist auch bei dicken Menschen so…;).
Kleid: Lindybop, gekauft in Wien
Perlenkette: Vintage
Tasche: Darling
Schuhe: Humanic (viele Jahre alt)
Manuela
Ein toller Artikel! Ich habe oft das Gefühl, dass wir alle schnell sind mit der Entmenschlichung – nicht nur beim Übergewicht. Das Bewusstsein dafür ist halt gar nicht da – schön, dass du das auf´s Tablett bringst. Dein Cupcake-Kleid steht dir übrigens hervorragend! Das hätte ich tatsächlich selber gerne 😀
Bobby
Vielen Dank Manuela! Ich habe das Kleid in Wien gekauft. Vielleicht gibt es das gleich auch noch online :). Entmenschlichung passiert tatsächlich immer wieder, nicht nur bei Übergewicht. Da hast du leider recht und es ist nie, wirklich nie gerechtfertigt.
Andrea Heider
Liebe Bobby!
schöner Artikel. Das wichtigste ist, dass man sich in seiner Haut wohl fühlt. Tolle Fotos 🙂
LG, Andrea
Bobby
Liebe Andrea, da hast du absolut recht. Vielen Dank :). Liebe Grüße, Bobby