Von Walen, Diskriminierung & traditionellen Medien will ich euch heute erzählen. Genauer gesagt darüber, wie mir die Luft weggeblieben ist, als ich ein Bild des neuen Newsletter-Formats der Wochenzeitung Falter gesehen habe. Denn traditionelle Medien spielen in der Diskriminierung von dicken Menschen leider immer noch eine große Rolle. Beim genannten Medium herrscht übrigens völliges Unverständnis darüber, warum sich einige so derartige über das Cover echauffieren.
(Auch) Deshalb will ich heute mit euch darüber sprechen. Doch es ist ja lange nicht nur eine Wochenzeitung das Problem. Denn das geht leider viel, viel tiefer. An dieser Stelle möge man mir verzeihen, ich habe mein diplomatisch, objektives Verhalten mal kurzfristig über Bord geworfen. Ich gehe es dann mal suchen….
Bild aus der Falter.morgen Ausgabe vom 3. Februar 2021, alle Rechte liegen hier beim Falter – falter.at
Von Walen, Diskriminierung & traditionellen Medien
Da habe ich nicht schlecht gestaunt. Denn das Titelbild der aktuellen Ausgabe eines neuen Falter Formats zeigt einen großen Wal auf einer Waage. „Wien hat im Lockdown um rund drei Millionen Kilo zugenommen – etwa das Gewicht von 30 Blauwalen“, steht da in großen Lettern. Ich bin also einigermaßen entsetzt und starre ein paar Minuten nur auf dieses Bild. Erst einmal unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, nur Wut steigt in mir hoch. Fassungslosigkeit und Enttäuschung.
Diskriminierung kommt ja in vielen Formen daher, die Diskriminierung von dicken Körpern ist in unserer Kultur so alltäglich, dass sie vielen Menschen gar nicht mehr auffällt. Nennt es spitzfindig, aber ich bin da schlicht etwas sensibel.
Nun muss man sich vorstellen, dass ich als Kind und darüber hinaus auch als Erwachsene schon einige „Kosenamen“ von mir wildfremden Menschen auf der Straße oder in Restaurants & Bekleidungsgeschäften bekommen habe. Der Wal bzw. der Blauwal war da auch schon dabei. Neben dem obligatorischen fetten Schwein natürlich.
Darüber hinaus befinden wir uns mitten in einer verfluchten Pandemie. Lasst mich das wiederholen einer PANDEMIE. Menschen sterben, werden schwer krank oder brauchen ewig um sich zu erholen. Andere verlieren oder bangen um ihre Existenz. Darüber hinaus findet es die Wochenzeitung wichtig diesen Menschen mitzuteilen, dass sie auch noch zugenommen haben. Shocking. Wird gerade ihr größtes Problem sein „Sarkasmus off“.
Die Sache mit der Gewichtszunahme und der Panik
Tatsächlich ist es aber so, dass ich in diversen Facebookgruppen, auf Instagram oder auch in Magazinen und Zeitungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie verstärkt über das Thema Gewichtszunahme im Lockdown bzw. dem Kampf gegen die Lockdown-Kilos lese. Wie man dicker gewordenen Oberschenkel wieder schmäler bekommt, ob Heilfasten eine Lösung ist, all diese Fragen und noch viel mehr schwirren im weiten WWW herum. Dabei immer dieser leicht panische Unterton – wie werde ich das wieder los, wieso bin ich bloß fett geworden.
Also geben wir der Panik Futter und unterstützen die Diätindustrie und vor allem dieses permanente Bashing von dicken Menschen. Wenn ich noch einmal ein „bei dir schaut das ja gut aus, aber ich muss abnehmen weil ich so fett bin“, oder ein „Bodypositvitiy ist so wichtig, aber mein Bauch könnte flacher sein“, höre….. Gesamtgesellschaftlich stimmen wir alle nur zu gern in den „Ich bin dick und muss es ändern“-Kanon ein. Wie ein Reflex. Sagt wer dick, kommt die so angesprochene Person sofort mit „ja, das ist falsch, muss die Wampe weg trainieren“.
Nun muss natürlich jeder Mensch für sich entscheiden, wie er / sie sich im eigenen Körper wohl fühlt. Doch für Viele ist der Gedanke sich in einem dicken Körper gut zu fühlen so unmöglich, dass sie lieber in die allgemeine dickenfeindliche Stimmung mit einsteigen, als Klischees und Vorurteile zu hinterfragen.
Es fällt mir hier nicht leicht wirklich fokussiert zu bleiben und zum Punkt zu kommen, denn in diesem einen Titelbild in dieser für den Falter doch so simplen Aussage stecken so viele verschiedene Aspekte, die mich immer wieder zum Thema Diskriminierung von dicken Körpern führen. Da wäre zunächst einmal die Sprache. Ein nicht unwesentlicher Punkt. Hierzu gehört übrigens auch die Bildsprache.
Sprache als Trigger & Bias
Sprache ist mit Teil unserer Identität, Worte haben Bedeutung – diese hat sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte verändert, dass diese Worte aber für uns eine bestimmte Bedeutung haben, dass ein bestimmter Ton mitschwingt, das verändert sich nie. Sprache formt unser Verhalten, auch gegenüber Menschen natürlich. So werden auch Vorurteile und Stereotype durch sie geprägt.
Wenn ich sage, dass ich dick bin, dann ist das für mich nur eine Beschreibung meiner Körperlichkeit. Nicht mehr, nicht weniger. Allgemein aber, wenn das Wort zur Beschreibung von menschlichen Körpern benützt wird, ist die Bedeutung weit weniger objektiv beschreibend. Verbindet sich das Wort dick jetzt mit dem Blauwal haben wir nicht nur ein gewaltiges Bild, sondern auch schon eine Latte an Vorurteilen.
Gut ersichtlich übrigens an den Kommentaren auf Social Media.
„Darf man jetzt das Wort dick nicht mehr sagen?“, höre ich einige fragen und die Augen verdrehen. Natürlich „darf“ man das, davon spricht keiner. Aber dick und Blauwal…halloooooo klingelt da irgendwas????
Bodypositivity für den Ar…
Hier füge ich mal ganz dezent hinzu, dass ich der Meinung bin, dass Bodypositivity zumindest in Österreich nur sehr beschränkt wahrgenommen wird. Kurvig ist ok, fett ist krank. Es passiert nicht selten, dass Menschen die ob ihres Aussehens / Körpers selbst beschimpft und beleidigt werden und Bodypositivity für sich in Anspruch nehmen, dennoch mit dem Finger auf den fetten Menschen zeigen und ihm / ihr sagen, dass der Körper sicher Probleme machen wird. Doch so funktioniert das eben nicht. Bodypositivity gilt nicht nur dann, wenn ich es subjektiv als richtig empfinde, wenn ich glaube dass es ok und gesund ist. Das ist nicht der Sinn dahinter. Es geht um die Akzeptanz aller Körper, ob ich sie jetzt eigentlich gut finde oder nicht!!
Mein liebstes Argument in dieser Diskussion ist ja: „Wir machen uns Sorgen um deine Gesundheit.“ Ja klar. Nicht, dass ich mich als unwichtig erachten würde, dennoch glaube ich zu wissen, dass es dem Herrn X oder der Frau Y, die auf der Straße an mir vorbeigehen und mich kritisch mustern oder auch beleidigen ganz bestimmt nicht um meine Gesundheit geht. Nein, sie machen das weil es ok ist, weil es möglich ist, weil es in Ordnung ist dicke Menschen so zu behandeln. Es ist moralisch vertretbar, denn Medien, Politik und ein Teil der medizinischen Welt sagen ihnen, dass das geht. Ganz nach dem Motto „macht sie lange genug fertig, das macht sie dünner.“
Die Moralkeule
Dabei bemühe ich hier gerne eine Metapher. Nämlich die des auf dem hohen Ross sitzen. Denn es ist für Menschen nun einmal angenehm sich überlegen zu fühlen. Gerne schauen wir auf andere herab. Auf diejenigen die angeblich gewisse Maßstäbe und Kriterien nicht erfüllen. Hier hinterfragen wir selten, wer diese Maßstäbe eigentlich festgelegt hat. Fleißig wiederholen wir den selben Wahnsinn, den wir seit Jahrzehnten sagen immer und immer wieder.
Egal ob es neuere medizinische Studien gibt, die belegen, dass ein gewisses mehr an Gewicht sogar gut ist oder Studien die zeigen, dass der BMI (Bodymassindex) absoluter Blödsinn ist. Experten (wohlgemerkt mit jahrelanger beruflicher Erfahrung und oft auch an Universitäten und Hochschulen ausgebildet) zeigen auf, dass unser Denken bezüglich Mehrgewichtigkeit, erhöhtem Blutdruck & gesundheitlichen Folgen lange nicht so klar sind, wie wir immer geglaubt haben. Alles wurscht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, weil wir es seit so vielen Jahren besser wissen. Weil auch nie, selbst nach Jahrhunderten, Denken revidiert oder verändert wurde. Wäre dem so, wäre die Erde immer noch eine Scheibe und Schwerkraft ein Fremdwort.
Die hier angeführten Vergleiche mögen hinken bzw. weiter hergeholt wirken. Allerdings geht es mir mehr um den Standpunkt – Wissen / Medizin / Technik entwickeln sich weiter, wieso ist das eigentlich so schwer zu begreifen?
Weil es schwer ist von einmal eingeführten Verhalten, das ein Leben lang praktiziert wurde, zu trennen. Nun gut, deshalb muss das Verhalten noch lange nicht in Ordnung sein. Das hat Diskriminierung nun mal so an sich!!! SIE IST NICHT OK!!!
Schuld & Sühne
„Ihr seid selbst schuld“, „nehmt ab“ – die Schuldfrage für das diskriminierende Verhalten gegenüber mehrgewichtigen Menschen ist schnell geklärt. Der Dicke / die Dicke ist selbst dran schuld. Ganz klar. Weniger essen, mehr Bewegung und alle körperlichen „Problemzonen“ schmelzen dahin. Schließlich haben wir es uns ja auch „raufgefressen“ (immer wieder schön, wie man entmenschlicht wird als Mehrgewichtige/r). Somit ist das gesamtgesellschaftliche Verhalten mehrgewichtigen Menschen gegenüber ja auch keine Diskriminierung. Nein, sondern ein Aufzeigen des eigenen Versagens. Dafür gilt es Sühne zu tun.
Von Abnehmshows über Diätbuchwerbung, von fehlender Repräsentation in den Mainstreammedien bis hin zu unüberlegten Magazincovern, ständig wird uns unser Fehlverhalten zur Last gelegt. Schuldig. Als wären die täglichen Beschimpfungen, Abwertungen, als wäre die Diskriminierung unsere Bestrafung.
Von Walen, Diskriminierung & traditionellen Medien – nicht der Falter allein
Jetzt ist es vielleicht unfair, sich hier nur so auf den Falter zu fokussieren. Dieses Cover ist vielleicht der aktuelle Auslöser der Debatte, allerdings lange nicht der eigentliche Ursprung. Denn mehrgewichtige Menschen zu diskriminieren ist so systemimmanent, das heißt so alltäglich in unserer Gesellschaft, dass es für viele nicht weiter erwähnenswert ist.
An dieser Stelle sei noch hinzugefügt (ja, der Text ist ohnehin schon so lang, da kommt es darauf auch nicht mehr an), dass ein Cover natürlich auch zur Diskussion anregen soll und aufregen soll. Ja ehhhh…allerdings sprechen die Aussagen der Chefredaktion, das Unverständnis für die Diskriminierungserfahrugen dicker Menschen schon auch Bände.
Nein, das ist natürlich nicht nur ein Problem des Falters. Alles darauf zu reduzieren wäre absolut falsch. Es gibt viele, viele weitere Beispiele. Doch es ist ein Anlass den ich zum Ausgangspunkt einer Diskussion machen möchte. Denn Medien haben das Thema der Diskriminierung von dicken Körpern überhaupt nicht am Radar.
ANKÜNDIGUNG: Übrigens, noch diese Woche werden die liebe Anna (Missannastomosis) und ich einen Livetalk auf Instagram zum Thema halten. Uhrzeit und Tag gebe ich noch bekannt. Schaut doch vorbei und diskutiert gerne mit!
Titelbild, nicht bearbeitet: (c) Christopher Michel via flickr.com – Link zum Bild und allen Infos
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